«Im Osten viel Neues»
Thomas Oberender
(Auszug)
Ich hatte mich in den 90er Jahren daran gewöhnt, dass es meinen Chef aus Osnabrück erstaunte, mich englisch sprechen zu hören, obwohl ich aus dem Osten komme. «Waren die Leute in der DDR eigentlich blöder, oder warum haben da so wenige Abitur gemacht?» Wie sollte ich das erklären…? Die grobe DDR-Vergangenheitsbetrachtung war mir lange Zeit egal, denn ich habe in der DDR, was seltsam klingt, trotz der DDR gelebt. Ich fühlte, spätestens seit ich meinen Abiturplatz verlor, weil ich mich gegen den Übergriff eines Lehrers gewehrt hatte, eine große Distanz zu diesem Staat.
Irgendwann, ich würde sagen im Jahr 25 der Wiedervereinigung, merkte ich, dass sich mein Verhältnis zu der Art, wie über die DDR gesprochen wird, langsam änderte. Erstmalig fiel mir das bei einem Empfang im Kanzleramt auf, bei dem Persönlichkeiten gefeiert wurden, die sich um die Erhöhung der Frauenquote verdient gemacht hatten. Die Vollbeschäftigung der Frauen dreißig Jahre zuvor im Ostteil der gleichen Stadt wurde damals mit keinem Wort erwähnt. Es war, als hätte es dieses Land nie gegeben und als sei die Anerkennung auch nur der geringsten seiner positiven Leistungen ein Tabu. Das machte mir das Land meiner Herkunft nachträglich nicht sympathischer, aber die Art, in der darüber gesprochen wurde, machte mich hellhöriger und empfindlicher. Ich erlebte sie zunehmend als verletzend, und das lag, denke ich heute, sicher auch an Verletzungen in mir, die langsam aufbrachen.
Plötzlich bekam ich eine Allergie. Ich vertrug ganz «normale» Kommunikationsregelbestandteile nicht mehr – z.B. diese Annahme, dass «der Osten» in Demokratiefragen immer noch vieles nicht verstanden hätte und als Sozialfall an den Spätfolgen der Diktatur leidet. Also setzte ich mich in den Garten meiner Freunde und schrieb vor drei Jahren einen Text darüber, dass die Mauer nicht umgefallen ist wie ein marodes Bauwerk. Aber eigentlich schrieb ich einen Text über den seltsamen «Normaldiskurs» der Deutschen über ihre deutsch-deutsche Geschichte. Denn er macht die Ostdeutschen zu Nachhilfeschülern und Gefahrenträgern und sie selbst begannen langsam dieses Ungenügen zu verinnerlichen. Die Redeweise vom «Fall der Mauer» gesteht den Ostdeutschen keinen aktiven Anteil an der Wiedervereinigung zu. Die Geschichte, so legt die Floskel nahe, hat die Ostdeutschen unerwartet in die Freiheit entlassen, und da standen sie nun, wollten Bananen und der Westen musste sich kümmern. Als ich bemerkte, wie sehr diese Sichtweise auch für mich selbstverständlich war, mein Denken formte, erschrak ich und wollte mich von dieser Stimme befreien.
Die jahrhundertelange Kolonialisierung von Afrika, Amerika oder Indien wird nachfolgend in ihrer Grausamkeit und historischen Dimension nicht relativiert, wenn vom Patronat der alten BRD über die sich auflösende DDR die Rede ist. Es hat lange gedauert, bevor mir auffiel, dass Ostdeutschland nach 1989 wie ein «Entwicklungsland» behandelt wurde. Leitbegriffe wie «Aufbau Ost», «Blühende Landschaften» oder «Buschprämie» führen tief hinein in die Raster kolonialen Denkens. Obgleich die DDR viel Untergang produzierte, hat sie aber auch Computer und Satelliten gebaut und den ersten Deutschen ins All gebracht. Sie besaß ein hochentwickeltes Bildungs- und Gesundheitssystem und zum ersten Mal in der deutschen Geschichte gelang dort eine demokratische Revolution, die zu einem guten Ende geführt hat. Dass nichts außer dem grüne Abbiegepfeil die vierzigjährige Existenz der DDR überdauert hat, führte in den neuen Ländern zu der Empfindung der Zweitklassigkeit des eigenen Lebens, die von keinerlei Protest begleitet war. Sie erzeugte das stille ostdeutsche Ressentiment und irgendwann die Wut.
Die Rede vom «Fall der Mauer» entspricht dabei einer sich als unschuldig empfindenden Redeweise der Sieger. Wobei ich paradoxer Weise nicht die Sieger der Revolution von 1989 meine, also die Bürgerbewegung der DDR, sondern den Westen, der dem Einheitsvertrag seine Standards einschrieb. Und er durfte sich zu dieser Haltung auch ermuntert fühlen, denn die Mehrheit der Ostdeutschen hörte nach der Öffnung der Mauer auf, für ein anderes Land zu demonstrieren, sondern ging lieber auf Entdeckungstour durch die Einkaufsstraßen des Westens. Ich glaube, wir haben uns, in Ost und West, den Prozess der Wiedervereinigung zunächst sehr freundlich vorgestellt. Er wurde für viele im Osten ein Trauma, das aber keines sein durfte, da ja so viel geholfen wurde - und «was sollte man auch anders tun?»
Es ist für mich noch heute berührend zu sehen, mit welcher Selbstverständlichkeit in Westdeutschland die Flüchtlinge aus dem Osten aufgenommen wurden, die aus den besetzten Botschaften oder über die offenen Grenzen in Ungarn kamen. Sie wurden von Herzen begrüßt und in großen Aufnahmeheimen versorgt. Fluchthelfer zu sein war damals kein Verbrechen. Fluchthelfer waren Helden. Genauso wie jene, die aus dem Osten geflohen sind, keine Migranten waren, sondern Willkommene. Im Überschwang der Erstbegegnung gab es nur wenige Menschen, die bereits damals darauf hinwiesen, was dem Osten an schmerzhaften Prozessen bevorstand und wie schutzlos er in diese Transformation eintrat. Diese Stimmen wollte in Ost und West keiner hören. Es war die Zeit einer grenzenlosen Zuversicht und eines kollektiven Lächelns. Der Staat im Osten war implodiert, die Polizisten dort trauten sich kaum mehr Polizisten zu sein und viele Studenten besetzte eine Wohnung, so auch ich.
Aber woher kamen bereits am 19. Dezember 1989 hunderte Deutschlandfahnen bei Helmut Kohls Wahlkampfrede in Dresden? Hatte man sie dort schon im Schrank? Oder waren das nicht strategische Mitbringsel aus dem Westen. Zu einer Zeit, da der Runde Tisch in Ostberlin ein neues Politikmodell erprobte und von einer Konföderation zweier Staaten ausging, die sich auf Grundlage einer neuen, gesamtdeutschen Verfassung vereinigen sollten? Die Wiedervereinigung, wie sie von der Bundesregierung gestaltet wurde, war nicht «fair». Der Vertrag entsprang einer Geisteshaltung, der zufolge die «40 Jahre DDR» ein vergebliches, in den Augen vieler Westdeutscher sogar schändliches Interim eines diktatorischen Systems darstellten, das an seiner ökonomischen Schwäche zerbrach. Daher die Rede vom «Fall der Mauer». Der Einheitsvertrag machte aus Ostdeutschland ein Entwicklungsland, dem das Patronat des in allen Dingen erfahrenen und wegweisenden Westdeutschlands am Ende den gleichen Wohlstand und eine ähnlich elastische Liberalität und demokratische Managementtüchtigkeit bringen würden. Man solle nur Geduld haben.
Für die Ostdeutschen ging 1990 eine Zeit des Mangels zu Ende – an Freizügigkeiten und Rechtsstaatlichkeit wie auch an materiellen Dingen. Ihn erduldet haben zu müssen, trotz des eigenen Fleißes und der eigenen Intelligenz, war Teil der tief empfundenen Ungerechtigkeit, die sich mit dem Leben in der DDR verband und nach der Öffnung der Mauer offen sichtbar wurde. Die schnelle Beseitigung dieses Mangels durch den Westen machte mich damals dankbar und zugleich wehrlos. Dass die Ostdeutschen beim Verkauf des Staatsvermögens und Volkseigentums der ehemaligen DDR, ihrer Fabriken, Wohnungsbestände und Grundstücke im Hintertreffen waren, da weitaus weniger vermögend und kreditwürdig, wirkte auf mich lange Zeit selbstverständlich und keiner Rede wert. Nur fünf Prozent des durch die Treuhand privatisierten oder kommunalisierten Produktivvermögens der DDR verblieb in ostdeutschen Händen. Mit der Dankbarkeit ist es im Osten seither so eine Sache. Insgesamt war der von der Treuhand geleitete Prozess ein historisch vorbildloser Transfer von kollektivem in privates Eigentum. Alternative und genossenschaftliche Modelle, wie sie in der DDR noch bestanden und im Westen gerade wieder entstanden, blieben chancenlos. Der Privatisierung des ostdeutschen Volkseigentums stand die Vergesellschaftung der Kosten gegenüber.
Dabei wirkt bis heute das Bild der armen Ostverwandtschaft aus den siebziger und achtziger Jahren nach, die mit Care-Paketen aus dem Westen beschenkt wurde. Und aus der Westsicht werden diese Pakete noch immer geschickt, was stimmt und nicht stimmt. Denn nur durch diese von der Mehrheit der Bevölkerung, und nicht von den Gewinnern der Privatisierung, bezahlte Transferpolitik wurde es möglich, dass der Osten als Region der Konsumenten weiter funktionierte und friedfertig blieb, ohne als Produzenten länger gebraucht zu werden. Diese Politik führte in der ehemaligen DDR zwischen 1991 und 1993 zur Freisetzung von vier Millionen Arbeitsplätzen und zur Deindustrialisierung ganzer Regionen. Denn im Osten gab es zwei Revolutionen – die von 1989 und die des Neoliberalismus danach.
Auch in den alten Bundesländern wird heute spürbar, wie die soziale Frage nach der neoliberalen Revolution der Kohl und Schröder Jahre sich heute neu stellt und Diskussionen um Mietpreisdeckel, eine gesellschaftliches Grundeinkommen und den Schutz unserer natürlichen Ressourcen mit aller Macht zurück in eine Debatte bringt, die 1989 begann. Bis heute wird ausgeblendet, dass die ehemals staatseigenen Immobilien, Wälder und Werke, die für wenige Euro neuen Eigentümern übertragen oder zum Abriss freigegeben wurden, die Einbringung der Ostdeutschen in diese Landes-Ehe waren. Hunderttausende «Schnäppchenwohnungen» aus ehemals volkseigenem Bestand gehören seither zur Steuervermeidungs- und Erbmasse westdeutscher Familien. Die handstreichartige Privatisierung in den frühen neunziger Jahren führte zu einer Massenmigration von Ost nach West, die bis heute anhält. Zwei Drittel der zwischen 1990 und 2001 abgewanderten unter-dreißig-jährigen Ostdeutschen waren Frauen. Auf die Geschehnisse dieser wirtschaftlichen Flurbereinigungsjahre zurückschauend, muss ich sagen, dass meine Verwandten und Freunde in den neuen Bundesländern viel zu wenig gejammert haben und ihr Kampf wie in Bischofferode - immerhin der letzte Arbeiteraufstand der Deutschen - bis heute kaum verstanden und gewürdigt wird.
Der Satz, der die Stimmung der frühen 90er Jahre im Osten am besten ausdrückt, stammt von Margret Thatcher: «There is no alternative!», abgekürzt: TINA. Tina ist der Vorname dieser zweiten großen Revolution, die sich Ende des 20. Jahrhunderts ereignet hat, weltweit. Im Osten kam die Revolution des Neoliberalismus jedoch viel brutaler, da widerstandsloser als im alten Westen zur Entfaltung. TINA hat die Welt leider sehr viel mehr verändert als die friedliche Revolution in Osteuropa und der DDR.
Es war diese zweite Revolution, die jene Träume, die für viele Menschen mit der demokratischen Revolution von 1989 verbunden waren, in Luft auflöste, weshalb uns heute die Slogans in pervertierter Form von den Plakaten der sächsischen AfD entgegenrufen: «Vollende die Wende.» Wer diese Entwicklung verstehen will, muss sich mit dieser zweiten Revolution nach 1989 beschäftigen. Damals ging es im Osten plötzlich um das ökonomische und mentale Überleben: Wird mein Berufsabschluss noch anerkannt? Braucht mich der neue Arbeitgeber? Überlebt der Betrieb? Wo gehe ich jetzt hin? Es entstand eine «verlorene» Generation von Jugendlichen, die arbeits- und orientierungslose Eltern und in einem neuen System hilflose Lehrer hatte und später darüber bewegende Romane schrieb und Filme drehte. Es ist nicht so, dass dies nicht formuliert wurde, nur dass uns das alle angeht, ist erst jetzt so, dreißig Jahre später.
Dass ausgerechnet die Demokratie, für die diese Eltern und Kids damals auf die Straße gegangen sind, dieses Gefühl einer fundamentalen Enteignung von der eigenen Geschichte und den Verlust sozialer Sicherheit erzeugte, ist meiner Ansicht nach der Hintergrund dafür, dass der Rechtspopulismus im Osten Deutschlands und in Osteuropa so stark wurde. Gleiches geschah in Frankreich, wo die Gelbwesten-Bewegung in den sozial schwachen Regionen auf das von allen guten Geistern der Demokratie Verlassensein reagierte, während die klassische Sozialdemokratie nach ihrem Mittun an diesem Sozialabbau keine Glaubwürdigkeit mehr entwickeln konnte. Der erstarkende Nationalismus in Ungarn, Italien, Polen, Skandinavien ist ein Stiefkind von TINA. Ausgerechnet die Rechten wurden so jene Trugbrecher, die das Fiktive am Zustand der demokratischen Freiheit benannten. Und dies schreibe ich ohne die geringsten Sympathien für die identitären Populisten, die in Sachsen Bürgercafés mit Sachspendenregalen eröffnen. Aber sie weisen damit auf die Wunde.
Es hat eine Generation Abstand gebraucht hat, oder einfach nur dreißig Jahre und die nächste Generation, um den Prozess der Wiedervereinigung in Ostdeutschland neu und anders zu betrachten. Es sind heute nicht mehr die Vertreter der Dissidentengeneration und Künstleraktivisten wie die früh verstorbene Bärbel Bohley oder Jürgen Fuchs, Gabriele Stötzer oder Wolf Biermann, die tonangebend über die DDR und Wiedervereinigung schreiben, sondern Nachgeborene wie Elske Rosenfeld, Peter Richter, Andreas Dresen, Ines Geipel oder Steffen Mau.
Inzwischen entstand ein neues Bewusstsein dafür, aus dem Osten zu kommen und das erstmals von innen. Zum Ostdeutschen wurde man in den letzten dreißig Jahren vor allem durch Zuschreibungen von außen gemacht, weil das westdeutsche Normativ «Leute aus dem Osten», ähnlich wie die Migranten, noch immer schnell als von der Norm Abweichende markiert hat - wegen ihres Dialekts, ihrer Ahnungslosigkeit, ihrer angeblichen Unfähigkeit zu echter Demokratie usw. Das macht sie durch ihr Behandeltwerden zu Menschen, die erstmal lernen müssen, wie die Dinge richtig laufen. Noch immer wird kaum in Betracht gezogen, dass sie selber ja jede Menge mitgebracht haben nach diesem weiten Weg und durchaus eigene Wertvorstellungen besitzen.
Bei den Nachgeborenen im Osten entsteht heute ein Bewusstsein der eigenen Andersheit, das oft mit der Entdeckung von Traumata und Verletzungen in ihrer Familiengeschichte einhergeht, für die man in den ersten zwanzig Jahren nach der Wende gar nicht empfänglich war, weil die Ostdeutschen viel zu stark mit ihrem Anpassungs- und Verdrängungspensum beschäftigt waren. So formt sich heute ein emotionales Gemenge aus formaler Normalität - schließlich sind wir jetzt länger wiedervereinigt, als die Mauer uns trennte - und einer schrittweisen Entgiftung von den schädlichen Beimengungen der deutschen Wiedervereinigungspraxis.
Das Diverse und Andersartige, wie es die DDR hervorgebracht hat, ist inzwischen immer seltener zu spüren - es wurde überformt vom Modernisierungsschub der Nachwende, der sehr schnell das Denken und Agieren in Kategorien von Wettbewerb und Individualismus mit sich brachte. Dreißig Jahre nach der Öffnung der Mauer wissen die jungen Erwachsenen von heute oft nicht mehr, wie der Palast der Republik in Ostberlin eigentlich ausgesehen hat. Viele Symbole der DDR-Epoche sind aus den ostdeutschen Stadtbilden verschwunden - fast so wie das Wort Tiananmen durch die Algorithmen des chinesischen Geheimdienstes in der WeChat-Welt zum Verschwinden gebracht wurde, und damit auch aus der Erinnerung und dem Diskurs.
Was von der DDR übrig blieb, beginnt eine Sache für Sammler zu werden, wird zur Preziose auf ebay und dem Flohmarkt und wurde zum Stoff für Fernsehserien und Dokumentarfilme; plötzlich gestaltet sogar die FAZ eine Doppelseite über die Avantgarden im Osten in Farbe. Die ostdeutsche Literatur- und Kunstgeschichte wird am intensivsten von angelsächsischen und französischen Forschern aufgearbeitet und auch das bewirkt, dass wir es als langsam ein gesamtdeutsches Kapital zu würdigen lernen. Aber das dauert lange; so wie ja auch der zweite Weltkrieg für die Deutschen erst 1989 aufgehört hat.
Die Mauer war das größte und schrecklichste Bauwerk Deutschlands, das der zweite Weltkrieg zurückgelassen hat. Von ihr sind nicht mal mehr 500 Meter übrig. Sie hat sich in ein ideologisches Monument verwandelt, das vor allem auf einer ideellen Ebene überlebt und sendet. Mit der Mauer verbindet sich noch immer eine mentale Ordnung des späten 20. Jahrhunderts, die unser gesellschaftliches Selbstbild bis in die Gegenwart grundiert. Diese mentale Nachkriegsordnung wird nicht so schnell verschwinden, weil sie sich, paradox gesprochen, selber noch immer für so progressiv hält. So wurde die Mauer, ausgerechnet die Mauer, trotz der Revolution, die sie zerstörte, zum Inbild des Unberührbaren, mit dem auch im 21. Jahrhundert nicht gespielt werden darf.
Auf der Ostseite gibt es die Erinnerungsmonopolisten der Opferverbände, die ihre Hand auf sie halten. Und im Westen gibt es die schnauzbärtigen Monopolisten der Freiheit, die angesichts der Mauer sagen: Mit der Freiheit lassen wir nicht spaßen. Die Mauer ist in Deutschland auf eine unsichtbare Weise noch immer mächtig. Diese Generation von Tempelwächtern am ideellen Monument der Mauer muss, so fürchte ich, erst aussterben, bis ein neuer, gefühlsoffener und intelligenter, reflektierter und zukunftsorientierter Umgang mit diesem Erbe möglich wird. Die Mauer «gehört» leider noch immer diesen Menschen des letzten Jahrhunderts und zementiert die moralische Überlegenheit ihres grau gewordenen Weltbildes. Wer einen anderen Umgang mit diesem Symbol sucht, wer glaubt, dass die Widervereinigung uns weniger vereint hat, als wir meinen, dem begegnet auch heute noch ein heftiger Gegenwind von den Mauererben in Ost und West. Leise und greise wispert er ihm entgegen: Nehmt uns unser Land nicht weg.
(…)