«Go in instead of look at» – dieser Gedanke von Allan Kaprow ist Leitmotiv der mehrjährigen Programmreihe Immersion. Seit 2016 präsentieren wir darin wegweisende künstlerische Positionen, die das klassisch gewordene Schema der Gegenüberstellung von Werk und Besucher*in, Bühne und Saal, Objekt und Betrachter*in auflösen. Die Verzeitlichung des Ausstellungsformats prägte fünf große Schauen im Gropius Bau, die eigens für die Programmreihe entstanden sind. «Down to Earth» bildet das sechste und letzte Ausstellungsprojekt und erweitert den Verständnisraum des Begriffs «Immersion» in den planetarisch ökologischen Bereich. Neben diesen Ausstellungen realisierte die Programmreihe drei Theaterproduktionen, die diese zeitbasierte Kunstform stark verräumlicht haben - als eine Erfahrung begehbarer Welten, deren Worldbuilding von der digitalen Kultur geprägt ist, obgleich sie sich in der analogen Welt realisieren. Neben diesen Arbeiten entstanden auch sechs ungewöhnliche Filmproduktionen in der Programmreihe «The new Infinity», die Planetarien für Künstler*innen des digitalen Zeitalters zugänglich macht. Die immersive Architektur der Planetarien und ihre Hochtechnologie wurde so für viele Künstler*innen zur Galerie und zum Konzertsaal der Zukunft. Neben diesen Ausstellungen, Theaterproduktionen und Filmen entstanden in Zusammenarbeit mit ARTE auch zwei ungewöhnliche VR- Filme, denen im Folgejahr eine Produktion mit holographischen Aufnahmen von David Bowie folgen soll. Mehrere Konferenz-, Diskurs- und Campusformate rundeten die Programmreihe ab und setzen als Format zugleich selber neue Akzente. Der Begriff Immersion wurde für uns im Laufe der Jahre ein erkenntnisleitender Begriff im Spannungsfeld zwischen Observanz und Befreiung, den Feedback-Technologien der digitalen Industrie und den alten Techniken der Meditation, der Einbettung, der Heilung. Die Programmreiche reagiert auf die Angst vor einer uns vermessenden und manipulierenden Umwelt und setzt andererseits auf die emanzipativen Potenziale intuitiver Wissens- und Kunstformen und emphatischer Beziehungen. Wie eine Erkenntnissonde führt das Phänomen der Immersion uns so durch viele künstlerische, gesellschaftliche und politische Entwicklungen unserer Zeit, die auch die Veränderungen und Herausforderungen innerhalb unserer klassischen Institutionen besser beschreibbar machen.
Immersiv ist eine Situation, wenn ich meiner Empfindung nach nicht mehr einen Wald betrachte, sondern in ihm stehe. Dies geschieht zum Beispiel, wenn man eine VR-Brille trägt. Deshalb erzeugt Immersion, so Medientheoretiker Oliver Grau, ein Paradox, denn einerseits ist Immersion «eine Kerngröße zum Verständnis medialer Entwicklung, jedoch tritt sie erst ein, wenn das Medium unsichtbar wird.» Immersiv sind in diesem Sinne auch klassiche Konzert- oder Theatersituationen, wenn sie, genauso wie sehr affektiv wirkenden Kinofilme oder Computerspiele, die Trennung zwischen Spiel, Spielern und Zuschauern momentweise auflösen. Neue Technologien und neue Werkformen radikalisieren dieses Moment nun und schaffen tatsächlich nicht nur flüchtige, sondern stabile «Aufenthaltsmomente» in dem, was das Medium zeigt und worin es sich auf der Erlebnisebene auflöst. Im englischen Sprachgebrauch bezeichnet «immersiv» zunächst nur diese Qualität ästhetischer Vorgänge, zugleich aber auch neue Veranstaltungsformen, die von vorneherein eine Erlebnissituation schaffen, in der die Besucher selber Teil des Geschehens werden, d.h. sie stehen auf der selben Bühne und mitten im Geschehen. Ihre Präsenz spielt hierbei eine aktive, geradezu konstitutive Rolle, wenngleich es sich z.B. bei den Arbeiten von punchdrunk oder dreamthinkspeak nicht um klassisches Mitspieltheater handelt. Immersive Konzertsituationen umgeben die Hörenden im gesamten Raum mit Klang, ja, der Raum selbst wird zur totalen Bühne, genauso wie dies bei immersiven Tanz- oder Theaterstücken ist, die ihre Besucher in die eigene Realität «aufnehmen». Immersion beschreibt also das Moment des «Eintauchens» in einen Raum - fast immer sind immersive Prozesse raumschaffende, weltbildende Vorgänge. Statt den Dingen gegenüber zu stehen, entsteht eine Situaion «ohne außen», in deren Mittelpunkt der Erlebende steht. «Ein zentraler Aspekt immersiver Kunsterfahrungen ist die Verschiebung vom distanzierten Betrachten hin zur situativen Koproduktion. Gewohnte Sicherheitsabstände verschwinden, die Kunst lässt sich mehr denn je anfassen, modellieren und beeinflussen.» (Cornelius Puschke.)
In einem mehrjährigen Projekt werden die Berliner Festspiele Kunst- und Theaterformen vorstellen, die auf diese immersive Wirkung abgestimmt sind. Dies korrespondiert mit einer Medienrevolution im Bereich der digitalen Technik, die durch 360 Grad-Video und Virtuel Reality neue Wege des Erzählens und Kommunizierens entwickelt, welche die klassischen Formen des Kinos, der Computerspiele und Fernsehsender grundlegend verändern wird. Daher wird das Projekt in einer Kooperation mit ARTE realisiert und entwickelt neue Formen der Aufzeichnung und Übertragung analoger Kunstprojekte in digitalen Formaten. Allerdings ist Immersion keineswegs nur ein ästhetisches Phänomen. Jede Form von Rausch und Traum stellt immersive Erfahrungen und die «Cloud» ist eine Leitmetapher des digitalen Zeitalters geworden. Auch wirtschaftliche und politische Prozesse sind immersiv, wenn sie keine Grenze dulden und durch offene und verdeckte Strategien Momente der Einbezieung erzeugen. Zum Beispiel stellt jede Frage in einer Suchmaschine auch schon eine Form von Antwort dar und Distanz wird abgebaut. Wir bewegen uns in Nutzerwelten, die durch Algorithen gesteuert werden, welche sehr kokonartige Situationen herstellen, die von unserem Verhalten genauso geprägt werden wie von dem vieler anderer Menschen und gar keinen unmittelbaren Zugang zur Welt «draussen» mehr gestatten. Immersive Prozesse sind in der Regel hochgradig manipulativ und kontrollintensiv. Das Projekt «Immersion» wird daher eine Schule der Distanz gründen und nach emanzipativen, oftmals auch kollektiven Möglichkeiten suchen, die immersiven Prozesse zum Gedeihlichen des Menschen zu nutzen, statt ihn tiefer in die Welt des Konsumismus und der Observanz zu führen.
Thomas Oberender, künstlerischer Leiter, September 2016
Shantala Sini Branca: Herr Oberender, was bedeutet Immersion?
Thomas Oberender: Es bedeutet salopp gesagt «eintauchen». Immersion ist ein Schlüsselphänomen unserer Zeit, das die Erfahrung oder das Gefühl einer vollumfänglichen Einbettung in die eigene Umwelt beschreibt. Wenn diese Umwelt artifiziell ist, gehen wir also im Kunstwerk auf – es verschwindet, das Medium wird unsichtbar, wir sind «drin». Der Begriff hat viele Anwendungsbereiche. Neben neuen digitalen Technologien wie Virtual Reality lassen sich mit ihm besonders gut neue Erfahrungen beschreiben, die sich seit Mitte der 90er übergreifend in verschiedenen «analogen» Künsten herausgebildet haben. Dabei handelt es sich um Künste, die oft situativ funktionieren und statt singulärer Werke ganze Welten schaffen. Jede Form von Immersion ist verbunden mit Worldbuilding – sie duldet tendenziell kein «außen».
Der Begriff Immersion kam in den 90er-Jahren in Verbindung mit Virtual-Reality-Konzepten und Spieltheorie in Mode. Inwieweit ist er heute noch relevant?
Er ist einfach sehr robust, weil das Phänomen so alt ist wie die Kunst. Theoretiker wie Oliver Grau oder Joseph Nechvatal haben es bis in die Höhlen von Lascaux, die Welten des Rokoko und der Panoramen des 19. Jahrhunderts zurückverfolgt. Die Digitalisierung macht das Trompe-l’œil begehbar, sie ändert nicht unsere Wahrnehmung, sondern unseren Zustand. Wobei die Frage, wo die Trennlinie zwischen meinem leiblichen und meinem digitalen Ich verläuft, ins Gleiten gerät – ein Wort, das schon Arthur Schnitzler gerne verwendete, um das Unwirklichwerden einer sehr intensiv erfahrenen Realität zu beschreiben. Der Begriff «Immersion» bringt dieses Gleiten auf den Punkt. In welcher Welt leben wir? Wie ist sie beschaffen? Und vor allem: Wer sind diejenigen, die diese Welten schaffen: Sind es wir, ist es Google oder sind es irgendwie ineinander greifende Algorithmen …?
Interaktivität füttert heute die Algorithmen von Facebook, Airbnb und Online-Rankings. Ist aus der einst utopischen Idee nicht längst ein Geschäftsmodell geworden?
Absolut. Der Kapitalismus stirbt sehr erfolgreich, wie Benjamin sagte. Dieter Claessens und Richard Sennett haben viel darüber geschrieben, dass Kapitalismus nicht nur unsere Wirtschaftsform ist, sondern zur Kultur wurde. Die entscheidende Frage für mich als künstlerischer Leiter von «Immersion» ist: Welche Rolle kann die Kunst in diesen Zeiten einnehmen? Wie können wir emanzipative Kräfte fordern und fördern – über Alternativen nachdenken und Kritik entwickeln?
Das neue Format «Immersion. Analoge Künste im digitalen Zeitalter» folgt auf das Aus des Performing-Arts-Festival «Foreign Affairs». Inwieweit vollziehen die Festspiele damit eine programmatische Neuausrichtung?
Natürlich verändern sich die Festspiele durch «Immersion», aber das haben sie in den vorherigen Jahren auch getan – mal mehr, mal weniger nach außen erkennbar. Kein Jahr war wie das vorige. Mit «Immersion» möchte ich, zumindest auf einer Ebene der Festspielarbeit, aus den Zwängen einer Festivalstruktur ausbrechen. Mona el Gammals «Rhizomat» zeigen wir vier Monate am Stück. Das geht in keinem Festival.
Was erhoffen Sie sich von dem neuen Konzept?
Bewegungsfreiheit, andere Werkformen, ein Denken auf Dauer. Raus aus der Vergleichbarkeit. Wir haben kein Ensemble, aber wir bilden Familien und nutzen die Räume anders. Die Künstlerinnen und Künstler bekommen gute Arbeitsbedingungen und wir entfalten das Thema über einen Zeitraum, der auch für uns neu ist.
Mit der Installation «Rhizomat» wurde die Veranstaltungsreihe jetzt eröffnet. Wie hat das Publikum reagiert? Wie haben Sie selbst die Arbeit erlebt?
Sie sagen «Installation» und das stimmt irgendwie auch. Man kann durch sie wie durch eine Ausstellung gehen. Zugleich ist es ein neues Genre, ein narrative space. Ich habe diese Arbeit als sehr liebevoll erlebt – all die ausgesuchten Details, dieses stimmungstiefe Archiv einer aus der Zukunft geretteten Welt. Und irgendwie packt mich auch diese Geste sehr junger Leute, von einem Aufstand zu erzählen, einer Empörung, die jeder erlebt, wenn er allein und auf sich gestellt durch ihren dystopischen Parcour geht.
Worin sehen Sie den Unterschied zu einer Performance oder einem Happening?
Es gibt kein Publikum. Es geht zwar um Figuren – man selber ist ein von der Widerstandsbewegung «Auserwählter», man spielt also mit, auch wenn man nichts tun muss, man ist teilnehmender Besucher, Zeuge, aber empfindet sich nie als Publikum. Und genauso wenig gibt es Performer; es gibt nur den Tatort. Man trifft niemand, sondern auf Spuren – man ist, so würde ich es sagen, in W.G. Sebalds Kopf, nur dass er diesmal nach vorne träumt.
Ende November findet im Gropius-Bau die erste «Schule der Distanz» statt. Soll immersive Kunst die Grenzen zwischen Kunstwerk und Betrachter aufheben oder neu vermessen?
Ich glaube, «immersive Kunst» gibt es gar nicht. Was, ganz zu Recht, als «immersiv» erlebt wird, hat sich über die Jahrhunderte in einer Vielzahl sehr unterschiedlicher Ästhetiken wiedergefunden. Die Auflösung der Grenze zwischen Kunstwerk und Betrachter ist ein uralter und zentraler Topos der Kunst. Die spannende Frage ist, wie? Die großen Agenten immersiver Prozesse sind nicht die Künstler, sondern Google und Facebook, die wollen, dass wir ihre Welt nicht mehr verlassen – es geht um Kontrolle. Immersion raubt die Distanz, die für Reflexion nötig ist, sie überwältigt, was manchmal berauschend schön ist, zugleich aber auch blöde macht. Es sei denn, man nutzt dieses Eintauchen anders und deshalb ist die «Schule der Distanz» für uns eine sehr wichtige Experimentiereinrichtung.
Die Veranstaltungsreihe ist auf drei Jahre angelegt. Wie wird das Programm weitergehen? Worauf werden Sie die Schwerpunkte setzen?
Wir arbeiten an einem Narrativ, das sich über die drei Jahre entfalten soll. Große künstlerische Arbeiten sollen in jeweils mehrwöchigen Programmserien gezeigt werden, die hinsichtlich der Frage, was Immersion bedeutet, eine markante Position darstellen. Im Moment interessieren wir uns zum Beispiel sehr für Wolken – sowohl für die am Himmel als auch für die digitalen …
Glauben Sie, dass sich das Museums- und Ausstellungswesen in den kommenden Jahren insgesamt wandeln wird – hin zu einem Erlebnis- und Erfahrungsraum?
Vielleicht ist das Wort «Installation» hilfreich, da sie den Raum ortsspezifisch und situationsbezogen begreift. «Gegenwart» lässt sich wahrscheinlich auch weiterhin durch Repräsentation «herstellen», um es paradox zu sagen. Deren Kehrseite sind situationistische Konzepte wie die von Tino Sehgal, Hannah Weinberger oder Ian Wilson. Sie kreieren andere Werkformen und durch Rituale und Regeln auch andere Räume als die black box des Theaters oder der white cube der Ausstellungen.
Monopol Interview vom 31.10.2016
Die Projektseite der Berliner Festspiele finden Sie hier.
«Berliner Festspiele: Die neue Immersions-Reihe beginnt mit «Rhizomat»»
von Doris Meierhenrich, 18.10.2016
Von außen sieht das Institut für Methode (IFM) aus wie ein übliches Berliner Jobcenter: funktional, modern und doch schon wieder veraltet. Ein Neubau aus den 1960er- oder 1970er-Jahren zwischen vielen ähnlichen Bauten im Ostteil Berlins. Als dieser Neustadtteil einst auf den Brachen des Kriegs entstand, war er nicht nur Wohnort, sondern Teil einer gesellschaftlichen Verheißung.
Nun ist dieses Überbleibsel, dessen genauer Standort hier nicht verraten werden darf, der «Narrative Space» («erzählende Raum») eines theatralischen Kunstprojekts, in dem man diese Vergangenheit mitdenken kann, vor allem aber eine Zukunft findet, die mancher Hüter des real existierenden Sozialismus kaum zu träumen wagte.
Das IFM ist in der sehr realen, dystopischen Kunstwelt der Szenografin Mona el Gammal die diskrete, aber omnipotente Ordnungsmacht. In welchem Jahr wir uns befinden, wenn wir ihr Haus betreten, bleibt unklar, das dritte Jahrtausend ist zumindest fortgeschritten, und die technische Durchdringung der Menschen sowie ihre künstliche Optimierung weitgehend komplett.
Es herrschen die vier großen G’s: «Gesundheit, Gleichheit, Glück und Gänze». Doch heißt weitgehend eben nicht vollständig, und genau hier ist das Schlupfloch, durch das der Besucher eintreten kann in die Huxley’sche Parallelwelt dieses IFM. Den Einlasscode zur Nachjustierung der vier G’s bekommt jeder mit einem Einzelttermin per Mail, doch sehr bald schon nach Eintritt merkt man, dass das Innenleben des IFM nicht ganz so spannungslos ist, wie behauptet.
«Rhizomat» heißt die unheimliche, herausfordernde Installation, mit der die Berliner Festspiele heute ihre neue, auf drei Jahre angelegte Forschungs- und Veranstaltungsreihe zum Thema «Immersion» beginnen. Und tatsächlich könnte das Eröffnungsprojekt programmatischer kaum sein. Denn zwar erzählt dieses Institut, das Mona el Gammal nahezu perfekt als ein Raumlabyrinth aus totalitäter Ober- und verschwörerischer Unterwelt gebaut hat, selbst wenig − alles ist nur Spur. Doch ist es, als balanciere man mit jedem Schritt auf dem kunsttheoretischen Fragenetz, das die «Immersion» selbst aufspannt. Ein theatrum philosophicum.
Was ist immersive Kunst? Es meint Kunst, in die Zuschauer eintauchen, sich versenken können. Neu ist das nicht, neu ist nur die Intensität dieses Eintauchens, das im Zeitalter perfekter Simulationstechniken und virtueller Bildwelten eben nicht mehr nur metaphorisch ist, sondern reale Erfahrung. Als Teil des Kunstwerks kann man sich auf keine distanzierte Zuschauergewissheit mehr zurückziehen, man muss selbst tätig werden und sich als Mittäter begreifen. So auch in «Rhizomat», wo jeder Schritt ein Stück weiter aus der totalen Aufgehobenheit des IFM in die ungesicherte Untergrundwelt einer Widerstandsgruppe führt − sofern man sich traut.
Denn der Weg führt durch dunkle Schächte und verließartige Kammern, die zu betreten man zögert. Darf man hier durch? Kann ich das tun oder sprengt das den Rahmen? Auf der Suche durch das «Rhizomat» wird man unversehens selbst zum Rhizom: zum quirligen Knollenspross, der alle nur möglichen Perspektiven einnimmt und Denkkanäle austreibt, um nicht verloren zu gehen. Welche und wie viele Kanäle das sind, hängt ganz vom Wissen und der Fantasie jedes Einzelnen ab.
Spuren gibt es Hunderte: Zettel über Zettel mit Zahlenkolonnen und Texten des Rhizom-Philosophen Gilles Deleuze, Pflanzen und Knollengewächse in Terrarien, Tierpräparate, bizarre Apparate, Tonaufnahmen mit rätselhaften Mitteilungen. So macht einen das Werk zu seinem Schöpfer, Objekt und Renegat zugleich. Immer auf des Kunstmessers Schneide zwischen totaler Freiheit und Ohnmacht.
«Der Schlüssel sind Sie!», heißt es gleich im Eingang des IFM. Ein Schlüsselsatz, der auch die Immersion selbst bestens umschreibt. Dass Intendant Thomas Oberender die theoretische und praktische Schwerpunktarbeit daran nun unter dem Dach der Berliner Festspiele konzentriert, ist ebenso spitzfindig wie weitsichtig.
Zur Kräftebündelung hat er im vergangenen Sommer bereits das Foreign Affairs Festival eingestellt, und bevor der Museumsmann Chris Dercon zusammen mit der Immersionskünstlerin Susanne Kennedy im nächsten Jahr die Volksbühne auf ähnlichen Kurs bringen kann, haben die Berliner Festspiele das wichtige kulturelle Feld bereits breit besetzt.
Dass viel Entwicklungspotenzial in dieser hoch interessanten Schnittstellenkunst steckt, zeigt schon der Eröffnungsparcours. So intensiv sinnlich das «Rhizomat» ist, so abstrakt, geradezu leer bleibt es inhaltlich. Allen denkenden, kritischen Input muss der Besucher selbst mitbringen, tut er das nicht, bleibt es nur eine kleine Gruselstunde.
Hier muss eine zukünftige «Eintauch»-Forschung ansetzten. Wenn Kategorien wie echt-unecht, real-virtuell kaum mehr benennbar sind, wird die Frage nach den Grenzen und Freiheiten des handelnden Subjekts wichtiger denn je. Eine neue Wahrnehmungsästhetik und -kritik ist angesagt und schon im nächsten Monat wollen die Festspiele eine «Schule der Distanz» dafür öffnen. Die Zukunft hat begonnen.
Berliner Zeitung http://www.berliner-zeitung.de/24937942 ©2016