«Leben wie aus einem Stück»

Gespräch über Jürgen Gosch

 

 

Markus Deisenberger: Die Bakchen gilt als eine der elegantesten griechischen Tragödien. Goethe hielt sie sogar für die schönste. Ist sie auch aktuell?

Thomas Oberender: Euripides zeigt in seinem Stück, dass Gott, wenn er kommt, ganz anders aussieht, als wir ihn uns vorstellen. Er erscheint als junger, androgyner Mann, der uns ins seiner Erscheinung, seiner Macht und seiner Grausamkeit letztlich unbegreiflich bleibt. Ein aufgeklärter Regent sieht durch das Hereinbrechen eines fremden neuen Kults die Ordnung des Staates bedroht und muss in seinem Kampf gegen diese Bedrohung erleben, dass er dem Göttlichen unterliegt. Das Faszinierende aber ist, wie grausam und gegen jedes menschliche Maß verstoßend der Ausbruch des göttlichen Machtwillens ist. Der König wird von der eigenen Mutter zerrissen und in die Stadt zurück getragen. Seien es Märtyreranschläge oder die plötzlich zusammen brechenden Mechanismen der modernen Finanzwelt: Genau von diesen jähen Zäsuren, die sich in unserer modernen Welt durch den Hereinbruch von etwas Unzivilisierten, Barbarischen ereignen, berichtet Euripides.

MD: Wie kamen Sie auf das Stück?

TO: Als ich ein Stück für Jürgen Gosch suchte. Als ich seine Aufführung von «Macbeth» sag, dachte ich mir sofort: Wenn es einen Regisseur gibt, der die «Bakchen» kann, dann ist das Gosch, denn ich glaube nicht, dass dieses Stück zu realisieren ist, indem man die Bakchen ins bürgerliche Wohnzimmer verlegt. Man muss diese archaische Kraft entfesseln, indem man das Stück durch die Kraft der Körper führt. Und das ist es, was Gosch wie kaum ein anderer beherrscht. Umso tragischer ist der Umstand, dass die Arbeit durch Jürgen Goschs Tod so jäh unterbrochen wurde.

MD: Wie gehen Sie mit dieser Situation um?

TO: In diesem Augenblick, da wir miteinander reden, ist Jürgen Gosch noch nicht einmal begraben. Er starb nur wenige Stunden nach der letzten «Bakchen»-Probe und wir sind alle noch nicht ganz losgekommen von ihm und dieser Arbeit.

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