«Eine Wunde, die in der Zukunft liegt» 

- Auszug - 

«An Frage, warum es so schmerzlich ist, für vier Wochen eine Replik der Berliner Mauer als Element eines Kunstprojekts aufzubauen, spaltet sich die Berlin für mein Empfinden zum ersten Mal nicht mehr zwischen Ost und West, sondern die Mauer spaltet den Osten und den Westen der Stadt selbst. Was kommt dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung? Was kommt nach «Ost» und «West»? Die eigentliche Spaltung, die dieses Kunstprojekt offenbart, noch bevor es steht, verläuft zwischen Moderne und Postmoderne. Die Mauer lenkt unser Verstehen plötzlich auf eine andere Perspektive: Wie es in der Wirtschaft zwischen den alten Industrien und den neuen Krieg gibt, gibt es ihn auch zwischen unterschiedlichen Formen von Kultur. So wie sich die traditionellen Autobauer plötzlich Firmen wie Tesla, Google oder Amazon gegenüber sehen, die als globaler Marktplatz kein traditionelles Geschäft mehr haben, verändern sich auch die Werk- Produktions- und Erlebnisformen von Kunst. 

Hotelketten wie airbnb haben kein einziges eigenes Zimmer, Taxifirmen wie Uber unterhalten keinen einzigen Wagen, diese Unternehmen krempeln nicht nur die Wirtschaft um, sondern unsere Gesellschaft, unsere Lebensgewohnheiten und Normen. Das Hotel ist nicht mehr nur das Hochhaus gegenüber, sondern das leerstehende Jugendzimmer in der eigenen Wohnung. Firmen, Guthaben und Gewohnheiten verflüssigen sich. Nur in der Kunst soll alles so bleiben, wie es war? Hier sollen die Aufführungen schön gerahmt bleiben vom Portal wie die Bilder im Museum? Das alles wird es weiterhin geben, was wunderbar ist, daneben aber entsteht etwas Neues: Es steht uns nicht mehr gegenüber, sondern wir stehen mitten in ihm drin. Ob das gut ist, ob das schön ist, wird heftig diskutiert, aber es wird nicht mehr verschwinden. Was wir auf youtube sehen, haben «wir» selbst gedreht – unser Begriff vom Autorschaft, Werk und Sender hat sich längst verändert und mit ihm die Infrastrukturen und Erlebnisgewohnheiten. 

Angesichts eines Kunstprojekts wie DAU, das eine flüssige Werk- und Veranstaltungsform kreiert, und im gleichen Atemzug unter der Überschrift «Freiheit» ein Mahnmal der Unfreiheit errichtet, des offenen Einspruchs gegen die Liberalität der bundesdeutschen Verhältnisse, überschlagen sich die Verteidiger der Moderne in Ost und West. Hier sind sich beide einig: «Sowas können Sie im Theater machen, aber nicht in der Öffentlichkeit» schimpft der Filmemacher und ehemalige DDR-Oppositionelle Konrad Weiß.