«Denk-Wende-Worte: Corona erzeugt neue Begriffe» 

Das Virus hat den Verstand mit neuen Worten und Wortbedeutungen infiziert. Es sind Historienbilder unserer Zeit.

Eine Wort-Liste von Thomas Oberender

Als ich auf meinem Smartphone von einiger Zeit VERKEHRSWENDE eingab, veränderte die automatische Textkorrektur das Wort zu VERKEHRSWEGE. Das System korrigiert mich anhand des bekannten Wissens. Aber es ist lernfähig, Tausende von Usern haben das Wort seither in Suchmasken eingetippt und so den Algorithmus verändert. Bei all den nachfolgenden Worten ging es mir wie diesem Algorithmus – die meisten Begriffe, die ich in dieser Liste während des Jahres 2020 eingetragen habe, hätten mir noch ein Jahr zuvor nichts oder etwas völlig anderes gesagt.

Was hätte ich 2019 gedacht, was «Aussteigerkarte» bedeuten könnte? Die Pandemieforschung, Politik und Medien haben Vokabeln wie R-Wert, Inzidenz, Triage in Umlauf gebracht oder die Bedeutung von Begriffen wie «Querdenker» oder «Risikoperson» völlig gewandelt. Die Worte wuchsen nach wie organisches Material, drangen in unwirtliche Bereiche vor, überwucherten sie mit Verständnis – nie habe ich Sprache so sehr als Werkzeug und Politikum begriffen wie in der Corona-Zeit.

Seit Jahren schreibe ich Worte auf, durch die Wandlungsprozesse auffällig werden. Der Flow der mich in diesem Jahr erreichenden Worte ist zugleich eine Art Verlaufsprotokoll der Pandemie und ihrer side effects wie die Einsicht in die Notwendigkeit einer ökopolitischen Wende.