16.02.2015, Berlin

«Raskolnikow unter kalifornischer Sonne»
Thomas Oberenders Berlinale-Tagebuch (V): «Knight of Cups» von Terrence Malick im Vergleich mit «Shame» von Steve McQueen.

 

 

«All die Jahre lebte ich das Leben eines Mannes, den ich nicht mal kannte.» – Das ist ein Kick-Start-Satz. Was großartig ist an diesem für mich eher furchtbaren Film: die  Malick-Technologie des Erzählens. Ihr Wesen liegt im Staunen und Schweifen. Aus den flüchtig eingesammelten Gesprächsfetzen und beiläufig erlauschten oder erblickten Details aus dem Leben der Figuren, die der Film als Eindrucksstrudel in sich hinein zieht, setzt sich doch so etwas zusammen wie eine Narration, ein Stream des multisensorisch eingesogenen Lebens. Die Grundbewegung des Filmes ist sein in Bewegung sein, sein mit dem Wind gehen, wie Gott über allem und in allem Wirken als das Auge, das uns sieht und also bezeugt und also sein lässt. Malick spielt ernsthaft Gott. Und steckt über weite Teile des Films an mit seinem Staunen über die Schöpfung – die Kamera bewegt sich wie eine heilige Drohne und so entsteht ein Flow der Bilder, ein Fliegen und Segeln des sich rastlosen Umschauens in der wunderbaren Welt. Es geht um den schmalen Grat, auf dem sich das Unfassbare zum Schicksal schließt, die zerfallende, unbegreifliche moderne Welt Anschluss findet an ein Sein, dass es auch ohne uns gibt - worin die Erhabenheit der Natur begründet liegt.

So treibt es Faust-Malick um und was er sieht, sind schöne Menschen, schöne Häuser, schöne Landschaften - das Kalifornien der Models, Villen, Luxusautos, mit Musik von Edvard Grieg präsentiert wie in Werbespots, und darüber liegt die Tonspur der geflüsterten Gedanken im Leiseton der letzten Wahrheit. Was tun?

Der Held des Films ist ein Mitgerissener, der zweifelt. Wir kosten als Zuschauer von seinen Drogen. Das ist die Werbefilmseite des Werkes. Malick erinnert an Dostojewski, dessen Protest gegen den westlichen Nihilismus, bei seiner gleichzeitig klaren Analyse, wie sie auch aus einem Satz wie diesem spricht: «Trinken ist übel, aber Gefühle sind übler.» Auch Raskolnikow könnte dies sagen und so erscheint «Knight of Cups» als ein Westküstenfilm voll kalifornischer Sonne, der im üppigsten Paradies zu einer Haltung der Melancholie und Selbstversunkenheit findet, die in NY so nicht zu erzählen wäre. Das wunderbare Pendant zu «Knight of Cups» ist «Shame» von Steve McQueen, ein Ostküstenfilm zum identischen Thema, der den Helden in eine andere Position und Verzweiflung bringt.

Die Probleme im Malicks Film sind  bürgerlich: Beruf, Sex, Ehe, Familie, quälende Erinnerungen und eine zu weite Landschaft. McQueen dringt da in eruptivere Erfahrungsbereiche vor. Malicks Verbrauch an Bildern, Beziehungen und Tönen ist Ausdruck einer Krankheit, von der dieser Film eigentlich die Heilung sein möchte. So verbraucherfreundlich sind  dieser Bilder. Man könnte und möchte daher als Besucher in «Knight of Cups»  die Augen schließen – und dennoch wäre alles aufgrund des exzellenten Sounddesign der Unterwassertöne und herangewehten Fetzen des Lebenslärms plastisch da; aber wenn man die Augen aufmacht, ist alles weg - geschluckt von der Ästhetik der Werbung und des Konsums.

Fazit: Die Besessenheit des Regisseurs, im Schweifen und Staunen eine Welt nicht nachzuerzählen, sondern en passant aus flüchtigen Fragmenten zu fügen, erzeugt einen immersiven Erzählstrom. Allerdings spricht sie dann doch die Sprache dessen, wovon sie uns befreien möchte.