«Explosionsmotoren oder Warum Festivals?»
von Thomas Oberender

 

 

Warum sind im frühen 20. Jahrhundert zunächst Festspiele entstanden, und, je weiter es fortschritt, stets immer mehr Festivals hinzugekommen? Zwar haben diese Veranstaltungsformen einige Vorläufer – die höfischen Feste etwa, die antiken Saturnalien oder religiösen Feiern wie das Erntedankfest, aber sie unterscheiden sich von diesen zugleich grundlegend. Denn sie stehen Gott oder einer gesamtgesellschaftlichen Tradition, d.h. einer Tradition, die den Anspruch erhebt, von allen Gesellschaftsmitgliedern geteilt zu werden, gleichermaßen fern. 

Festspiele oder Festivals fokussieren vielmehr die Interessen bestimmter Gruppen, und das Feld ihrerLeidenschaft ist ein recht bestimmtes. D.h. das Kriterium der Gruppe ist für die Entstehung von Festivals ein wesentliches – sie bildet eine Gemeinschaft auf Zeit, die sich einem Anlass widmet und dank seiner hervorgebracht wird: Es geht um die Musik Mozarts oder Wagners oder Afrikas. Das Werk Henrik Ibsens oder elektronische Musik. Aber es geht nicht um eine Religion, die für alle verbindlich ist, es geht nicht mehr, wie bei den antiken Dionysien um ein Fest, das mit der Organisation der sozialen und politischen Ordnung eng verbunden war, und es geht nicht um das Privatvergnügen einer einzelnen Person, die andere daran teilhaben lässt – aus einer königlichen Hochzeit wird in diesem Sinne also kein Festival, denn das können nur Liebhaber königlicher Hochzeiten durchführen.