«Unüberwindliche Nähe. Texte zu Botho Strauß»
Herausgegeben von Thomas Oberender
Aus Anlaß des sechzigsten Geburtstags von Botho Strauß versammelt dieses Buch Beiträge, die dem Werk und der Person des Schriftstellers auf unterschiedlichste Weise eine Reverenz erweisen. Botho Strauß nannte sich als Autor ein «windiges Zwischengeweb», durch dessen Netz all das fließt, was ihn als Künstler und Zeitgenossen bewegt: Seine flüchtigen Beobachtungen und langanhaltenden Passionen, seine Entdeckungen in der entlegenen und nächstliegenden Literatur, in den Wissenswelten der Biologen, Physiker und Techniker, im Alltagstheater und Schreiben von Stücken. Wer je in die literarischen Netze dieses Gedankenfischers und Gebärdensammlers geriet, weiß, daß ihnen nur schwer wieder zu entkommen ist – etwas von dem einmalig Erfaßten der Menschen und Situationen, von der Gedankenschönheit, der intellektuellen Dissidenz, der ansteckenden Neugier und Menschenkenntnis wird seine Leser in ihrem Bann halten.
Die Beiträge dieses Buches versuchen, einiges von den feinsten Beeinflussungen und dem wechselhaften Einfluß des Autors auf seine Leser festzuhalten - als der sie begleitende Luftgeist, als literarischer Identifikationsfigur und Verursacher seltsamer Glanzlichter, die sich in das Denken und Handeln seiner Leser einmischte. Auf die ästhetische Raffinesse und intellektuelle Herausforderung des Straußschen Oeuvres reagiert dieses Buch durch die unterschiedlichen Blickwinkel seiner Betrachtungen. Zu Wort kommen Schauspieler und Schauspielerinnen, Autorenkollegen, Regisseure, Dramaturgen, Literaturwissenschafter, Kritiker und Verleger unterschiedlichster Generationen und aus verschiedenen Ländern. Sie sprechen als künstlerische Weggefährten, kritische Analytiker und Freunde des Autors. Und vielleicht eröffnet ihre Nachbarschaft ein, in der Praxis des Theaters und der Wissenschaft zwar oft als frurchtbar empfundenes, aber selten realisiertes Gespräch über die Grenzen der unterschiedlichen Metiers und Wahrnehmungen hinweg.
Thomas Oberender
Thomas Oberender: Ein nicht ausübender Gesellschaftsmensch. Statt eines Vorworts
Botho Strauß: Unüberwindliche Nähe
Luc Bondy: Alle Jahreszeiten an einem Tag
Karlheinz Braun: Anfänge oder Über einige Versuche, ästhetische und politische Ereignisse zusammenzudenken
Bruno Ganz: Zu Botho Strauß
Bernhard Greiner, Suchbild Hamlet: Shakespeare inszeniert uns
Volker Hage: Daher die Bühne
Matthias Hartmann: Wer ist da?
Jens Harzer: Wer hat diesen Mann gesehen?
Jochen Hörisch: Überantwortung der Geschichte an die Ökonomie
Thomas Hürlimann: Der Dichter meiner Generation
Peter Iden: Bei den Krähen im Nebelschnee
Helga Kaussen: Dem Entziffern verschrieben
Sebastian Kleinschmidt: Gefundener Ort, gemiedene Zeit
Helmut Kiesel: Über das Wiedererscheinen von Göttern im jüngeren Drama
Michael Krüger: Der Einzelne und die Vielen
Peter Kümmel: Hohheiten, wenn sie sprechen. Stümper, wenn sie handeln.
Jutta Lampe: Da wollte ich bleiben
Hartmut Lange: Über Botho Strauß
Cesare Lievi: Elf Uhr vormittags, in einem Wald
David Lindemann: Heimsuchung eines Kleptomanen
Dörte Lyssewski: Du, Ich, Du
Martin Mosebach: Die vier namentragenden Dämonen und der namenlose Dämon der Töpferwerkstatt, ihre Beschwörung und ihre Abwehr
Thomas Oberender: Das Sehen sehen.
Christina Paulhofer: Liebesbrief an Botho Strauß
Henning Rischbieter: Botho Strauß bei «Theater heute»
Liebgart Schwarz: Das Geschenk
Reto Sorg: Groteske Passagen
Uwe C. Steiner: Der laute Schrecken
Lars Svendssen: Mythos und Erlösung
Werkgeschichte
Bibliografie
Index
Zu den Autoren
«Gegen die diktatur der gegenwart»
«Unüberwindliche Nähe» - Ein Buch über und für Botho Strauß
von Roman Widder
März 2008
Das Buch «Unüberwindliche Nähe» kann man als Geschenk verstehen. Als Geschenk für Botho Strauß. Und wie jedes Geschenk ist es auch eine Anmaßung.
Denn wie Thomas Oberender, der Herausgeber des zum sechzigsten Geburtstag von Botho Strauß erschienenen Sammelbandes in seinem Eingangsporträt selbst immer wieder betont, bemüht sich das Buch, Charakter, Persönlichkeit und Denkart eines Autors zu beschreiben, der einmal behauptet hat, in seinem ganzen Leben keine einzige autobiographische Zeile verfasst zu haben. So bekennt Strauß in einem Zeit-Interview von 2003: «Es ist für mich unabänderlich, und das könnte man religiös nennen, eine Buchstabenfrömmigkeit, dass alles, was von mir existiert, nur durch das Buch existiert. Ich akzeptiere nichts außerhalb der Schrift.» Mit dieser Unsicherheit, ob ein solches Geburtstags-Buch, so sehr es selbst auch Schrift sein mag, diesen Wunsch vielleicht nur verletzen oder parodieren kann, beginnt eine Reise durch Leben und Werk des Dichters.
Insgesamt 30 Autoren, Schauspieler, Regisseure, Literaturwissenschaftler und Philosophen (darunter nicht wenige Prominente wie Bruno Ganz, Martin Mosebach oder Michael Krüger) haben sich versammelt, um – so das selbsterklärte Ziel des Bandes – ein Gespräch über die unterschiedlichen Genres, Metiers und Perspektiven hinweg zu ermöglichen. Tatsächlich interessiert das Buch jedoch weniger durch einen Reichtum an Perspektiven, als durch einen Reichtum an Geschichten, weniger durch vielstimmige Objektivität als durch eine besonders subjektive, ja gelegentlich intime Ausrichtung der Beiträge.
Adoleszente Liebe zu Botho Strauß
So sind denn auch jene Texte die schönsten, die diese eigenartige, unsachliche, dokumentarische Kommunikationssituation – über, für und zu Botho Strauß zugleich zu schreiben – sich positiv zu Nutze machen. So zum Beispiel der Text «Alle Jahreszeiten an einem Tag» vom Regisseur Luc Bondy, der im Stile eines Briefes in der zweiten Person direkt an Strauß gerichtet ist. «Über dich zu schreiben, ist prekär» bekennt er und bezeichnet Strauß trotzdem prompt als «Metaphysiker», aber auch als «Beobachter gesellschaftlicher Fluktuationen». Seine Denkart nennt er «elliptisch», seinen Stil «sarkastisch-skeptisch» und seine Prosatexte vergleicht er mit einem einzigen langen Tagebuch. In diese Reihe der Texte, die sich durch ihre Intimität sowie durch ihre Fähigkeit zur Ironie auszeichnen, gehört auch der Beitrag «Liebesbrief an Botho Strauß» der Regisseurin Christina Paulhofer. Die mit Strauß persönlich nicht bekannte Autorin erzählt von ihrer adoleszenten Liebe zum Idol Botho Strauß, mit dem nur noch David Bowie konkurrieren konnte. Zwei Jahre lang hat sie das gesamte Werk von Botho Strauß nach dem Motiv der Liebe durchgeforstet. Im Stile eines Bekenntnisses erzählt sie ihm all das und noch mehr, um dann mit einem Heiratsantrag zu schließen.
Reflexionsorgan des Konservatismus
Mit deutlich mehr intellektuellem Eifer geht es beim Literaturwissenschaftler Jochen Hörisch zur Sache, der in Strauß das unerlässliche kritische Reflexionsorgan des Konservatismus und damit einen Autor der «Verknüpfungen von nicht verknüpfbaren Sphären» erkennt. Hier und an anderer Stelle wird Strauß zu einer Grenzfigur, der es gelingt, herrschende Kategorien literarisch und essayistisch zu subvertieren. Ähnlich Michael Krüger, für den es bei Botho Strauß darum geht, «dem Wir-Menschen den Einzelnen gegenüberzustellen» und diesen zu stärken. Und so bemüht sich Krüger selbst in seinem enthusiastischen Beitrag die Physiognomie eines «einzelgängerischem Diaristen» zu zeichnen, der das «Epizentrum des Verfalls schlechthin» ist.
Die meisten Texte sind kleine Hymnen an den Autor, die oft gebetsmühlenartig eine Reihe von Namen wiederholen, um Verwandtschaftsverhältnisse zu beschreiben. Oft nicht mehr als Kanonisierungsversuche, die aber immerhin eines anzeigen: Spätestens mit diesem Buch ist Botho Strauß zu dem geworden, was man eine lebende Legende nennt.
Dass Strauß dabei mehr oder minder kritiklos gefeiert wird, verwundert angesichts des Rahmens kaum. Dass die Feierlichkeiten jedoch teilweise ins Sakrale abdriften, muss befremden, und droht dem ganzen Buch ein klein wenig den Charakter des Überflüssigen zu geben. Entschädigend wirkt insofern der sehr reflektierte Schlussbeitrag «Mythos und Erlösung» des Philosophen Lars Svendson. Dieser ordnet Strauß’ mythisches Denken und seine «Philosophie des Noch» der dialektischen Tradition von Benjamin bis Adorno zu, wonach der Fortschrittsglaube stets das Vergessen bedingt. Die Suche nach einer nicht chronologischen, sondern kairologischen Zeit, welche sich «vertikal in die Geschichte einschneidet», sowie das Erbe der deutschen Romantik wären demnach die Fluchtpunkte seiner Texte. Svendson verschweigt jedoch auch nicht, wie metaphysisch, transzendental und unhinterfragbar Strauß erscheint, wenn er beispielsweise in «Die Fehler des Kopisten» 1997 schreibt, dem menschlichen Subjekt könne nur ein Sinn entsprechen, der über diese Welt hinausgeht, da jenes «in» dieser Welt, jedoch nicht «von» dieser Welt sei. Auch die simple, binäre Logik der Gegensatzpaare mit der Strauß der Zivilgesellschaft die Volksgemeinschaft, dem Intellekt der Geist, der Zivilisation die Kultur entgegensetzt – ein von Negationen durchdrungenes Denken – erkennt Svendson als problematisch.
Vermittlung von Ästhetik und Politik
Strauß’ Texte haben sich vielleicht nichts mehr als einer Vermittlung von Ästhetik und Politik verschrieben haben, ohne der Illusion anheim zu fallen, dass alles analysierbar, rational erklärbar, und somit veränderbar sei. Nicht zufällig ist der am häufigsten zitierte Text des Buches darum auch der politischste und der umstrittenste des Autors zugleich: der Spiegel-Essay «Anschwellender Bocksgesang» aus dem Jahr 1993. In ihm findet ein medien- und modernekritischer Konservatismus wohl seine erregendste, skandalöseste, vielleicht progressivste Form. In diesem noch heute lesenswerten Essay klagt Strauß die Janusköpfigkeit einer Mediendemokratie an, die den Rechtsradikalismus verpönt und zugleich für ihre eigene Legitimierung benötigt, darum nährt und provoziert. Dass Botho Strauß dabei mit den Ideen der negativen Dialektik oder René Girards eine neue Rechte legitimieren will, zeugt von der Paradoxie, der Explosivität und der kritischen Emanzipation eines Denkens, welches zu immer neuen Relektüren und Stellungnahmen herausfordert.
«Unüberwindliche Nähe» ist ein Buch mit vielen Stimmen, vielen Gesichtern und, nicht zu vergessen, einigen ausgezeichneten Fotografien des Autors und der Inszenierungen seiner Stücke. Schön ist, dass die Texte in ihrer geistreichen, stillen Zwiesprache mit dem Autor sich weder den Laien verschließen, noch die Spezialisten langweilen, und der Spagat zwischen Wissenschaft und Kunst tatsächlich gelingt. Vom Einsteiger bis hin zum Wegbegleiter ist das Buch für all jene interessant, die sich abseits von in literaturwissenschaftliche Begrifflichkeit geronnen Wissens, für die Person Botho Strauß selbst interessieren, und zwar weniger für seine Biographie als für die die offene Auseinandersetzung, die sein Name bezeichnet.
© Titelbild: Ulysses Belz