«The Rocking Chair»

Ein Gespräch mit Jon Fosse über Peinlichkeit und Wahrheit
20. April 2004, Zürich

 

 

Thomas Oberender: Jon, über dich findet man im Netz die unterschiedlichsten Angaben - Geburtsjahr und Ort differieren. Ist das Teil einer Künstlerlegende oder können wir das richtigstellen?

Jon Fosse: Ich weiß nicht, warum das so ist. Aber, ja, geboren wurde ich 1959 in einer kleinen Stadt in Westnorwegen, Haugesund. Dort habe ich allerdings nie gelebt. Meine Mutter hat mich in Haugesund zur Welt gebracht, sie stammt aus einer Kleinstadt in der Nähe. Aufgewachsen bin ich in Strandebarm, einer kleinen Stadt in einer Region, die man Hardanger nennt. In dieser Gegend gibt es viele kleine Farmen. Mein Vater besaß solch ein kleines Anwesen, wenig Land, nicht groß, zwölf Hektar landwirtschaftlich genutzer Fläche und eine Menge unkultivertes Land. Auf diesem Anwesen standen einige Häuser, es war schwer, von diesem Grundbesitz zu leben. Seit dreihundert Jahren gehört das Gut der Familie und mein Vater versuchte sein Glück, indem er dort eine Obstplantage anlegte. Aber das hat nicht funktioniert und er musste einen anderen Weg finden, um Geld zu verdienen.

Für die gesamte Gegend gab es einen kleinen Laden mit Waren für den täglichen Bedarf - von Lebensmitteln bis zum Staubsauger und Werkzeug. Immerhin hatte der Laden vier Etagen, daran erinnere ich mich, und dort wurde mein Vater einer der Angestellten. Er hat ganz durchschnittlich verdient, am Anfang noch etwas weniger. Der Laden war eine Kooperation und als ich dort aufwuchs, war mein Vater Geschäftsführer, sein Gehalt war also nicht schlecht und davon bestritt die Familie ihr Auskommen. An das Geschäft kann ich mich gut erinnern, ich habe dort viel Zeit verbracht. Ich hatte eine schöne Kindheit.