«One World is not enough»

Thomas Oberender im Gespräch mit Carl Hegemann über Botho Strauß

 

 

Der Band erschien als Begleitpublikation zur Inszenierung des Stücks «Groß und klein» von Botho Strauß durch Frank Castorf, die am 5.3. 2005 Premiere hatte in der Volksbühne Berlin.

Er enthält den Aufsatz «Once Upon a Time in the West» von Botho Strauß, ein Gespräch zwischen Thomas Oberender und Carl Hegemann über Strauß sowie einen Text von Carl Hegemann über den Dichter.

«Groß und klein» ist einer der letzten modernen Klassiker, der sich tief in das Alltagsleben der Bundesrepublik in einer Zeit versenkt, als diese, herausgefordert durch die RAF, ihre schwerste Krise durchmachte, die im Stück übrigens mit keinem Wort erwähnt wird. Ein Stationendrama über den deutschen Westen in der Phase seines beginnenden Verfalls. Lotte, die arbeitslose von ihrem Mann rausgeschmissene Hauptfigur, an der Volksbühne gespielt von Kathrin Angerer, möchte gebraucht werden, ist aber überall und für alle zuviel. Zutiefst verunsichert kommt sie zu dem radikalen Schluss, dass alles, was sie denkt, nur falsch sein kann: «So sag ich denn zu allem was ich denke: nein!» Aber dieser Satz führt nicht zur Selbstauslöschung, sondern zu einem kreativen Sprung, einer religiösen Erleuchtung. Sie ist eine der 36 Gerechten, die es nach jüdischer Überlieferung in jeder Generation gibt und die die Welt vor dem Untergang bewahren. Diese Bestimmung treibt sie erst recht in die Isolation, aber ihr desolater Zustand bekommt einen Sinn. Für den Psychiater wäre es eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis. In Lottes Welt ist es die Gnade Gottes, der ihr die Verantwortung für das Weiterbestehen der Menschheit übergeben hat. «Groß und klein» ist auch eine moderne Heiligenlegende. Der Einbruch religiöser Erklärungsmuster in die säkularisierte Welt führt zur Entlastung des überforderten Ichs. Nach wie vor liefert Botho Strauß damit einen Beitrag zur Geschichte des Kapitalismus, zwischen Depression und Regression.